On New York by Heiner Müller (Berlin 1987)

New York oder das eiserne Gesicht der Freiheit

FATZER
(kommt mit Fleisch in einer Zeitung)
Fleisch.
KAUMANN
wie kommt das Blut
an deinem Ärmel Fatzer?
FATZER
wollt ihr Fleisch fressen
und könnt kein Blut sehen.
Das ist ein Zeitungsblatt !
darin steht dass wir viele
Städte gebaut haben
über
dem atlantischen Meer, zwanzig
Stockwerke hoch, aus reinem
Zement und Eisen ! es ist
ein Bild da, ich kenne die
Häuser, ich habe sie mit so gedacht.
Hier ist das Bild.
Eine neue Stadt
mit Namen New York
dies hat gemacht
unser Geschlecht oder eines
das ihm ähnlich ist.
KOCH
was hat es genützt? jetzt
laufen wir wie Ratten in dieser
Höhle rum.

(aus Bert Brecht, UNtergang des Egoisten FATZER)


2

Gestern habe ich geträumt, dass ich durch New York ging. Die Gegend war verfallen und von Weißen nicht bewohnt. Vor mir auf dem Gehsteig stand eine goldne Schlange auf, und als ich über die Strasse ging, beziehungsweise durch den Dschungel aus kochendem Metall, der die Strasse war, auf dem anderen Gehsteig eine andere Schlange. Sie war leuchtend blau. Ich wußte im Traum: die goldne Schlange ist Asien, die blaue Schlange, das ist Afrika. Beim Erwachen vergaß ich es wieder. Wir sind drei Welten. Warum weiß ich nicht.
(aus: Der Auftrag)


3

Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freie Lüfte.
(aus: Kafka, Amerika)


4

Ungheuer, Atlanta
Leuchtet deine Sonne.
(aus: Hans Eisler, Johann Faustus)


5

IN Kafkas Amerika trägt die Freiheitsstatue an der Hafeneinfahrt von NY ein Schwert statt der Fakel. In NY zeigt die Freiheit ihr eisernes Gesicht. Manchmal ist das Gesicht der Gorgo, deren Blick versteint. Seit London, erschöpft von Herrschaft wie eine Frau von Geburten, nicht mehr in der Nachfolge Roms steht (der eigentliche Verlierer des zweiten Weltkrieges, als einer Phase im Weltbürgerkrieg des zwanzigsten Jahrhunderts, ist England), sind NY und Moskau die Metropolen der Welt. NY das Flagschiff des Kapitals im Bauch der Bestie, wie Che Guevara die USA nannte, mit der Blutbahn der Banken und Moskau die narbenbedeckte Hoffnung der Welt, lange Zeit dem Blick entzogen durch einen blutigen Nebel.
So wenig wie Moskau ist NY eine feste Stadt.
Moskau seit dem Sturm aus Asien, der die Rache Kinder Abels an den Erben des Brudemörders und ersten Städtebauers Kain war, immer neu gegen den Wind gebaut, nomadisch bis in die Architektur; noch der Stalinbarock hat durch seine Ornamentik die Fliehkraft der Zeltgiebeln: asiatische Verfremdung der kalt monumentalen Waltstreetgeometrie, die der architektonische Ausdruck des Puritansimus ist, einer Religion für Kolonisatoren.
NY ein Gebilde, das aus seiner eigenen Explosion besteht, UNSTET und FLÜCHTIG im Sinne der biblischen Verfluchung, Schnittpunkt von Kontinenten, kein Schmelztiegel, wie die landläufige Vorstellung meint, sondern ein Ort der Trennung, die Elmente (Rassen Klassen Nationen) bleben separat (Little Itay Chinatown Lower East Side Harlem), mit keiner anderen Solidarität als die des Geldes. Die berühmten Skylines täuscht: NY, ein Pfahlbau, ist dem Wasser näher als dem Himmel, sein Grund die Leiber der toten Indianer, die Abels weniger glücklichen Nachkommen sind. (Auf den Baugerüsten arbeiten die letzten Irokesen, schwindelfrei durch einen Zufall der Natur). Und manchmal schlägt der Grund zurück: im NY der siebziger Jahre, als es Mode wurde, Kindern statt Hamster Alligatoren zu schenken (der leichte Weg, das Spielzeug los zu werden, wenn es lästig wurde, war die Spülung des WC, SEE YOU LATER ALLIGATOR), kehrten immer häufiger Kanalarbeiter von ihrer Arbeit unter der Stadt nicht zurück, Suchtrupps entdeckten in den Abwässern der Kanalisation Geschwader von ausgewachsenen Alligatoren. Sie waren weiß, blind und satt. Wenn als Folge der Klimaverschiebung, ein Triumph der Technik, Nord- und Südpol schmelzen, holt der Atlantik vielleicht seine Hauptstadt heim, das Wasser den Beton, schwimmen die Haie durch die Banken. Inzwischen ist das Gesetz des Wachstums von NY das Gesetz des Dschungels: Wucher und Verfall, und aus den Ghettos wächst die Wüste auf die Stadt zu, während mit schnellerem Wachstum im Schatten des Erdbebens Los Angeles die Nachfolge antritt, Hauptstadt des Pazifiks und ein neues Babel. Auf den ersten Blick ist NY die letzte intakte europäische Stadt: keine Bobme von Himmel hat es berührt, es hat keine Panzer gesehen. Der tägliche Krieg findet in den Subways , in den Ghetoos, auf den Strassen, in den Apartments und Fahrstühlen statt. Eine Stadt der Einsamkeit: nirgendwo hört man so viele Menschen mit sich reden wie in den Starssenschluchten von NY. Stadt der Extreme: reichen witwen mit Penthouse und Chauffeur, bewacht von schwarzen oder irischen Türstehern, ihre Hunde von Negerinnen ausgeführt, Schaufel und Plastiktüte unvermeidlich im Griff, um, wie das Gesetz befiehlt, die Hundescheiße wegzuräumen, junge schwarze Mörder, für die nicht aml in Gefängnissen Platz ist. schwierig, NY mit Kunst beizukommen: vor dem Tanz der fliegenden Zeitungen und im Wirbel der Mülltonenen, die den Wind aus den Indianerprärieren über die Strassen am Hudson treibt, schrumpft sie auf das Beispiel von Andy Wahrhol zurück, Klassiker NYs durch die Qualität der kleinsten Größe. Unvergesslich die Trauer, im Gesicht des alten Juden, Hegel- und Marxübersetzters (er hatte, wie er beim Whisky gestand, in der McCartyh-Ära vor die Wahl vor Mangement und Alkohol gestellt, den Alkohol vorgezgen), bei seiner Erzählung von seinem Besuch in MET am Vortag: er stand vor einem altägyptischen Rrelief, zwei junge Schwaze stellten sich neben ihn: WHAT ARE YOU DOING THIS IS OUR CULTURE. Er kannte gut die sozialen Wurzel des schwarzen Antisemitismus,: Mietwucher in Harlem, Bauspekulationen, Brandstiftung gehört zum Geschäft, in den Ghettos, Krieg der Minderheiten. Sein Résumee: was Marx vergessen oder nicht gewußt hat: die Gewalt des Tribalismus. Erst wenn die Verführungskraft der Fassaden schwindet (die den Bewohnern der Höhle den Himmel auf Erden verspricht), weil das Mahlwerk der Ausbeutung unter der staatlichen Schuldelast stockt, kann in Ghettos eine andere Solidarität aufblühen als die des Kapitals gegen das Elend.

Bevor man stirbt, sollte man NY gesehen haben, einen der grossen Irrtümer der Menscheit.


6

UNGEHEUR IST VIEL DOCH NICHTS
UNGEHUERER ALS DER MENSCH.


Autor: Heiner Müller (7.7.1987)


Abgeschrieben aus : New York Aussichten, Arno Fischer, Verlag Volk und Welt 1988, Printed in German Democratic Republic (caution: the "republic" has vanished into thin air two years later)
New York @ October 2008
Spanish Harlem

This location seems to be the re-incarnation of the third world within/beside of the super first wolrd, which is explicitly Manhattan. The smell of gasoline reminds me Bogota, the music in this cafe is the best of kitsch pop from Pourto Rico and nobody wants to speak English, for what, asked asked the guy.
Bach in Spanish Harlem, that would be the new trend.
New York @ October 2008
Manhattan

M. is a retro-scenario.
Almost everything social, cultural, artistic, economical, scientific; waht can happen, happend here. Actually the realisation of our dreams and of those old utopia. M. is utopia. The beginn and the end.
New York @ October 2008
Manhattan

Die Dunkelheit am fruehen Abend in M. ist atemberaubend, die Luft wird mild, der leichte Nieselregen und Entspannung ueberall. Ein Spaziergang entlang Park Avenue erinnert einen unentwegt an irgendeinen Film, es ist immer ein Film, andem man entlang rauscht.

Manhattan ist ein Film.
Eine schoene Landschaft, riesige Wolken, duester am Himmel wellenartig schwebend. Wo ist eigentlich der Mond? Hinter den schweren Wolken ist sein Schatten zu erahnen, nur eine Spur. Der Mond ueber Manhattan ist ein anderer.

Manhattan ist kein Ort fuer unsere post-romantizistische Nachtmahr, es ist die reine Schoenheit gegossen im Delerium von Eifer, Reichtum, Trotz, List und Utopie. Es ist die Utopie, transzendiert von der eigenen Gewalt und von der Ignoranz und Kaelte der Protagonisten.

Die Protagonisten, ja sie, die seit einigen Tagen - und eigentlich schon immer- von allen verachtet, beschuldet und misgoennt waren, als korrupt bezeichnet werden, sitzen in den Bars in den eleganten Anzuegen, farbigen Krawatten und sehr feinen Kleidern und sind unberuehrt von der Hysteria. Sie sind so, wie wir sie kennen: arrogant, schoen, abwesend, dramatisch und in Bewegung. Es ist wunderbar zu sehen, dass die ganze Presse in NYC ( und USA/ Europa/ Welt) sie, die Protagonisten ruegen und Ms. Palin in der Debatte es auch tat, damit sie die Kretins der Provinz in ihrem Gefuehl staerken kann, dass sie immer schon recht hatten, womit sie ueber NYC dachten. Sie, die Protagonisten, aber schweben weiterhin cool ueber den Pfalstern ihres Paradieses, das nur und wahrlich nur Ihnen gehoert.

Manhattan ist ein Film.
Ein kinematographisches Scenario ohne Anfang und ohne ende. Ohne Anfang, da wir nicht mehr wissen koennen, wann wir begannen, diesen NICHT-Ort wahrzunehmen, M. war immer schon in unseren Augen. Ohne Ende, weil wir immer noch Bilder haben werden, die uns das Paradies des Protagonisten zeigen wird.
New York @ October 2008

At early afternoon of a normal day is Lexington Avenue ominous quiet: no noise, no buzz, just a sliding wave of happy looking purchaser; no rush, no hectic. That's why shopping makes people happy and relaxed.
The Indian man in the Chinese electronic shop wants to sell me a low tech camera in a price level higher than in 5the Ave, I am laughing, he does not understand it at all. He is not so happy.
Marriott East Side is very American. An house full of ghosts of those days, dark furniture, shivering calmness, people in ugly Grey suits asking you after your "happiness" and my nightmare: folklorist (= bloomy) blankets, they dispossess me of my dreams, which I indented to have, indeed. And one more, old white American Men: of course East coast WASP's, well dressed, honorable, boring and obliging; therefor, almost death. They are everywhere, in the lobby, beside me in the restaurant and even in the lift. One should change the perspective. After Boston, my second experience seeing them in vivo. Gott bewahre.


 Urbaner Raum im Kontext
 






































 



New York @ October 2008

Bedfort Avenue in Williamsburg / Brooklyn seems to imitate the other, the "outer" world, which is the OLD EUROPE. Arrived , again, in the nice space of simulacrum and of games.
Everyone attempts to be in a basically different mood than in Manhattan, not just mood, but fashion: style of trashy, confused and "indi"-like something; just beautiful.
You can not see Manhattan's towers, while sitting in a cafe in Williamsburg's Bedfor Avenue and drinking latte and pretending to read Kafka or talking on Sara Palin's stupidity. NO, there are no ghosts, no alligators, no dead "indians", no fashion victims, no seduction and seductives, no glamour, no SCHEIN. Just pure SEIN, coolness, authentecity and GEIST.
Asking the concierge in a Manhattann based hotel about "nice" places in Brooklyn, he asked me back: Brooklyn?? it is really different than Manhattan, you want to go there?
After more than 120 years of anexion of Brooklyn by New York City's rulers, it is still another town, not just a bourough, as they try to convince us.










































New York @ October 2008

Vorerst ist NYC ein Traum.